VORWORT

 

Allgemeine wichtige Informationen

über die lateinische Sprache

Eine Tatsache vorab : LATEIN IST EINE TOTE SPRACHE, das heißt, sie wird nirgends mehr aktiv gesprochen außer im Vatikan vielleicht. Wer kennt nicht den Spruch „Habemus Papam !“, wenn weißer Rauch aus dem Petersdom des Vatikans aufsteigt ? Dieser bedeutet, dass ein neuer Papst gewählt wurde.

Es gibt auch sogenannte Zirkel von Latein-Affinen, die angeblich bei ihren Treffen nur Lateinisch sprechen, was ich allerdings verneinen muss, da ich bei so einem Treffen selbst mal anwesend war, weil mich jemand, in meinen Augen fälschlicherweise, für geeignet hielt. Außer Wein, Weiber und Gesang lief da nicht viel, also „vinum, mulieri et cantare“ waren Trumpf.

Also warum dann Latein lernen, wenn es doch eine tote Sprache sein soll ? Die Antwort ist relativ einfach. Das Vulgär-Latein, wie es früher im römischen Reich gesprochen wurde, auf genaue geschichtliche Fakten wird hier bewusst verzichtet, ist die Grundlage aller heutigen romanischen Sprachen. Zu denen gehören das Französische, das Spanische, das Portugiesische, das Italienische, das Rumänische, das Katalanische und noch einige kleinere romanische Sprachen. Alle diese vorgenannten Sprachen haben ihren Ursprung im Vulgär-Latein. Und man sieht an den genannten Sprachen, wie groß das Einzugsgebiet des ehemaligen römischen Reichs gewesen sein muss, denn der westlichste Vertreter, das Portugiesische, und der östlichste Vertreter, das Rumänische, sind sehr, sehr weit von einander entfernt. Dass sich diese Sprachen alle irgendwie eigenständig weiter entwickelt haben, ist klar, aber trotzdem haben sie alle noch mehr oder weniger Berührungspunkte zueinander. Wenn jemand fundierte Kenntnisse in Latein besitzt, hat er kaum Probleme, eine romanische Sprache zu erlernen. Ebenso nützen Kenntnisse des Spanischen, wenn man z.B. Portugiesisch, Italienisch oder Katalanisch lernen möchte. Der Grund, warum dem so ist, dürfte spätestens jetzt klar sein.

Und interessanterweise ist die rumänische Sprache, von der die meisten nicht mal wissen, dass es eine romanische Sprache ist, diejenige Sprache, die dem Lateinischen in seinen Phänomenen am nächsten steht. Das Rumänische hat als einzige romanische Sprache drei Genera (Geschlechter), das Plusquamperfekt ist wie im Lateinischen eine synthetische (einfache) Zeit, das Rumänische hat einen Vokativ (Anrede-Fall) und auch das lateinische Supinum sowie die Deklinationen der verschiedenen Wort-Arten sind im Rumänischen erhalten geblieben.

Eine andere Tatsache ist allerdings hochinteressant. Das Lateinische hat keinen Konditional in der Verb-Konjugation. Es gibt aber trotz allem Bedingungssätze, die wie im Deutschen unter anderem mit dem Konjunktiv ausgedrückt werden. Der Konditional ist sozusagen eine romanische Erfindung, denn alle romanischen Sprachen besitzen ihn. 

Der Wortschatz des Englischen ist, wenn man es auf einem sehr hohen Niveau benutzt, auch sehr vom Lateinischen durchsetzt. Auch der Deutsche findet in seiner Sprache viele Anlehnungen an das Lateinische, denn die meisten Fremdwörter der deutschen Sprache haben ihren Ursprung im Lateinischen. Der Deutsche benutzt diese Fremdwörter meist unbewusst, ohne genau zu wissen, was deren genauer Ursprung ist.

Das Lateinische ist übrigens wie alle romanischen Sprachen außer dem Französischen eine sogenannte „Pro-Drop-Sprache“. Ich möchte diesen Begriff jetzt nicht zu sehr linguistisch zerlegen. Er bedeutet, dass in der lateinischen Verb-Form das Subjekt, wenn nicht bereits durch ein Nomen ausgedrückt, bereits integriert ist und folglich weg gelassen (= fallen gelassen) werden kann. Ursprung ist das englische Wort „to drop – fallen lassen“. Das Englische und das Deutsche sind allerdings „Non-Pro-Drop-Sprachen“. Bei ihnen können die Subjekt-Pronomina in einem normalen Aussage-Satz nicht weggelassen werden, genauso wie im Französischen.

Ein weiterer Grund, warum man Latein lernen sollte, ist, dass das Latinum nach wie vor Pflicht ist, wenn man Romanistik studieren will. Zudem können Latein-Kenntnisse für einen Arzt und oder Theologen auch nicht schädlich sein.

Zudem ist das Lateinische in unserer deutschen Sprache tief verwurzelt. Viele Fremdwörter aus dem Lateinischen sind im Deutschen gar nicht mehr wegzudenken; es gibt aber viele, die mit Fremdwörtern herumwerfen, ohne deren Bedeutung zu kennen.

An deutschen Schulen wird Latein meist ab der Klasse 7 angeboten; an wenigen Schulen wird es parallel zum Englischen ab der Klasse 5 angeboten. Das früher übliche „Große Latinum“ gibt es nicht mehr; es gibt nur noch das Latinum, das man erworben hat, wenn man von der Klasse 5 bis zur Klasse 10 Latein gelernt hat und mit einer bestimmten Note abgeschlossen hat. Hat man erst in der Klasse 7 angefangen, Latein zu lernen, hat man das Latinum erworben, wenn man die Klasse 11 oder 12 beendet hat, je nach Schulform und auch nur mit einer entsprechenden Note.

Ich selbst bin ein Verfechter davon, mit Latein in der Klasse 5 zu beginnen, und zwar parallel zum Englischen. Der Grund dafür ist klar. Man lernt im Lateinischen von Anfang an Grammatik-Begriffe und klare grammatische Strukturen (kennen), die man im Englischen oder auch Französischen und im Deutschen traurigerweise selten oder nie (kennen) lernt. So passiert es leider, dass Schüler der 9. Klasse nicht erklären können, was der Unterschied zwischen einem Perfekt und einem Plusquamperfekt ist, was der Unterschied zwischen finiter und infiniter Form ist oder was eine synthetische und eine analytische Zeit ist. Ich sage mal, dass dies mit Latein-Kenntnissen nicht passiert wäre, wenn der Latein Lernende wirklich motiviert ist, sich mit dieser hochinteressanten Sprache auseinanderzusetzen. 

Es hängt allerdings auch davon ab, wie fundiert und gut der Latein-Unterricht gestaltet wird. Und da gibt es an deutschen Schulen leider erhebliche Defizite. Ich spreche da aus eigener Erfahrung. Ich selbst gebe sehr viel Unterricht gerade in Latein und bin teilweise entsetzt über die Fachkenntnisse meiner Kollegen. Und über die Kenntnisse der Schüler, die ich privat im Rahmen der Nachhilfe unterrichte, sage ich besser gar nichts. Diese berichten mir meist, dass die Fachlehrer keine Ahnung haben, und teilweise stelle ich auch fest, dass die Latein-Lehrer(innen) eindeutig falsche Sachen lehren. So etwas darf nicht sein und darf nicht passieren !

Worauf kommt es jetzt beim Latein-Lernen an ? Latein ist nicht auswendig lernen, wie viele behaupten. Nein, Latein ist das knallharte Beherrschen der Formen- und der Satzlehre. Und diese Formen- und Satzlehre muss systematisch an den Lernenden herangeführt werden. Vom Latein Lernenden wird wirklich sehr viel verlangt : Die ganzen Deklinationen und Konjugationen, dazu die Masse an Vokabeln, vor allem teilweise unsinniges Vokabular nur für die Original-Lektüre, haben nur ein schlussendliches Ziel, nämlich die Original-Lektüre, wie Cäsar, Ovid, Sallust u.a., zu lesen und richtig zu übersetzen. Ich sage ganz deutlich : Wer sich im Laufe der Zeit keine fundierten Kenntnisse der Formen- und Satz-Lehre aneignet, wird das Latinum nicht schaffen. Latein ist sehr viel Fleiß und noch mehr Kontinuität beim Lernen.

Der Vorteil ist, dass Latein im Prinzip eine Baukasten-Sprache ist. Das heißt, sowohl bei den Deklinationen als auch bei den Konjugationen gibt es fixe Stämme, an die die Deklinations-endungen der einzelnen Kasus bzw. Konjugationsendungen der einzelnen Tempora gehängt worden.   Diese Tatsache erleichtert es doch erheblich, die Mengen an gleich aussehenden Formen zu entwirren und zu verstehen.

Nicht umsonst hat mal ein schlauer Philosoph folgenden klugen lateinischen Satz von sich gegeben :

 

Ducunt volentem fata;

nolentem trahunt.

 

Den Willigen führt das Schicksal;

den Unwilligen zieht es.


Was erwartet den Leser jetzt in diesem Grammatik-Kompendium der lateinischen Sprache ?

Den Leser erwartet eine sorgsam aufbereitete Grammatik, die nur aus 2 Kapiteln besteht, nämlich aus der Formen- und der Satz-Lehre mit den Schwerpunkten Deklinationen der verschiedenen Wort-Arten und Konjugationen des Verbs sowie Übersetzungstechniken und Satz-Analyse.

Ich weise nochmal darauf hin, dass im Kapitel 01 die reinen Formen angegeben werden und sich das Kapitel 02 damit befasst, die aus den einzelnen Formen des Kapitels 01 konstruierten Sätze zu analysieren und zu übersetzen.

Alle im Inhaltsverzeichnis angegebenen Themen werden ausführlichst mit vielen Beispielen und Tabellen behandelt. Anders als in den anderen von mir verfassten Kompendien sind die Beispiele größtenteils eigene Erfindungen sowie aus gängigen Lehrwerken entnommen, da Beispiele aus der Alltagskonversation nicht präsent sind, da die lateinische Sprache bekanntlich eine tote Sprache ist. Mir lag es aber trotzdem am Herzen, Beispiele zu den einzelnen Grammatik-Phänomenen aufzuführen, da das jeweilige Phänomen dadurch wesentlich greifbarer wird. Das Kompendium ist kontrastiv angelegt, das heißt, Grammatik-Phänomene, die es in beiden Sprachen gibt, werden gegenübergestellt. Solche, die es nur im Lateinischen gibt, werden besonders sorgfältig aufbereitet, da diese den Latein Lernenden Deutschen vor besondere Probleme stellen, wie z.B. der A.c.I., das „Participium Coniunctum“ und der „Ablativus Absolutus“ u.a.. 

Um die Formen- und Satz-Lehre dann auch effektiv anwenden zu können, schließt sich noch ein ausführlicher Exkurs „Übersetzungsmethoden“ in Kapitel 02 an, der darlegt, wie man lateinische Sätze vorab so zerlegt, sie sozusagen so vorbereitet, dass man sie in stilistisch gutes Deutsch übersetzen kann. Abschließend erfolgt noch ein Abstecher in die Satz-Analyse, die weniger den Sinn und Zweck hat zu übersetzen, sondern ausschließlich dazu dient, jedes einzelne Satzteil eines lateinischen Satzes grammatisch genau zu bestimmen, und die noch tiefer in die Grammatik eindringt, als es die Vorarbeiten bei den Übersetzungsmethoden notwendig machen.

In diesem Kompendium wird bewusst auf Betonungs- und Längenzeichen sowie auf Vokal-Quantitäten, z.B. ob ein Vokal lang oder kurz gesprochen wird, verzichtet, da diese bis auf wenige Ausnahmen nicht für wichtig erachtet werden, da in den meisten in Lehrbüchern vorkommenden Texten diese auch nicht angegeben werden außer vielleicht in den ersten Lektionen, um ein Gefühl für die Betonung und Längen zu bekommen. In den wenigen wichtigen Fällen werde ich auf die Betonung eingehen, wie z.B. bei der Konjugation der Verben, genauer bei der Unterscheidung der „ē-Konjugation“ auf „-ēre“, der „konsonantischen Konjugation“ auf „-ere“ und der „kurzvokalischen i-Konjugation“, die ebenfalls auf „-ere“ endet. Auch bei der Kennzeichnung der u-Deklination werde ich auf Längen eingehen. Warum, seht ihr dann.

Die „ē-Konjugation“ ist von den anderen beiden Konjugationsklassen nur durch die Aussprache und durch die Betonung auseinanderzuhalten, z.B. bei „iacēre – liegen (Aussprache : ja'kere – Das 2. „e“ ist lang.)“, dessen Stamm-Formen „iaceo / iacui / ---“ lauten, oder bei „iacere – werfen (Aussprache : 'jakere – Das 2. „e“ ist kurz.)“, dessen Stamm-Formen „iacio / ieci / iactum“ lauten. Silben werden immer von hinten gezählt. Ob ein Verb allerdings zur „konsonantischen Konjugation“ auf „-ere“ oder zur „kurzvokalischen i-Konjugation“ auf „-ere“ gehört, muss man einfach nur lernen. Die 1. Person Singular („ego“) Indikativ Präsens Aktiv gibt hier Aufschluss über die jeweilige Konjugationsklasse.

In einem guten Wörterbuch werden Betonungs-, Längenzeichen und Vokal-Quantitäten immer angegeben.